Der Poller

Zusätzliche Informationen

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Citroën 7 1,6 L Front (Deutsche Produktion)

  • Baujahr: 1935
  • 4 Zylinder
  • 1.617 ccm
  • 34 PS
  • 110 km/h

106.000 

Die deutsche Fahrzeugindustrie war nach dem Ersten Weltkrieg und während der entbehrungsreichen Nachkriegsjahre wenig konkurrenzfähig und die deutsche Regierung versuchte durch Zollauflagen die Einfuhr ausländischer Produkte zu reduzieren. Da der deutsche Markt jedoch Erfolg versprechend schien, versuchten amerikanische, französische und italienische Fabrikate durch die Errichtung deutscher Montagewerke die Zollauflagen zu umgehen. Nachdem das Deutsche Reich dem Völkerbund beigetreten war und am 31.01.1926 die britischen Besatzer das Rheinland geräumt hatten, begann Citroën am gleichen Tag mit der Errichtung eines Montagewerkes in Köln-Poll. Die großzügigen Fabrikanlagen gehörten zuvor dem „Rheinwerk“, der Vereinigten Westdeutschen Waggonfabrik AG. Der direkte Bahnanschluss gab eine ideale logistische Verbindung nach Paris. Das Firmengelände in Köln-Poll erstreckte sich über 64.500 qm und wurde, mit einer 650 m langen Fertigung am Fließband, zum modernsten Autowerk Deutschlands. Am 15.02.1927 begann die Produktion kompletter Fahrzeuge. Zusammen mit den 350 Händlerbetrieben im Deutschen Reich wurde Citroën zum größten Importhersteller in Deutschland. Die Repräsentanz Unter den Linden in Berlin gehörte zu den beeindruckendsten und schönsten Autosalons Deutschlands. Durch Vertriebs- und Fertigungsgesellschaften in Belgien, Dänemark, England, Holland, Italien, Polen, der Schweiz und Spanien avancierte Citroën zum größten Autohersteller Europas. Im November 1928, nur einen Monat nach der Pressevorstellung in Paris, wurden die neuen Modelle C4 und C6 im Berliner Hotel Adlon der deutschen Öffentlichkeit präsentiert. Um dem deutschen Gesetzgeber Rechnung zu tragen, bestanden die Autos zu 75% aus in Deutschland gefertigten Teilen. Ab 1933 wurden sogar die Motoren bei Siemens in Berlin gefertigt und die Autos bestanden dann zu 95% aus deutschen Teilen. Trotzdem gingen die Gängeleien der deutschen Behörden weiter und als Citroën in Frankreich selbst in finanzielle Engpässe geriet, wurde das Werk in Köln im Dezember 1935 wieder geschlossen. Bis dahin wurden dort 18.710 Fahrzeuge hergestellt und bei deutschen Citroën Händlern wurden die Autos aus Köln-Poll schlicht die „Poller“ genannt. Die Poller waren aufgrund ihrer Verbesserungen im Detail und ihrer Verarbeitungsqualität begehrt. Auch die 1934 vorgestellten Traction Avant Modelle 7, 11 und 15 wurden in Köln produziert und unter den Bezeichnungen 7, 11 und 15 Front verkauft. Bis zur Werksschließung wurden 1.823 Citroën Front gebaut. Nach unserem Wissen existieren davon noch vier Exemplare, von denen zwei Stück nach der Wende im Osten Deutschlands gefunden wurden. Eine völlig verrottete Limousine, die inzwischen in Frankreich ist, eine Cabrio-Limousine in Berlin, ein Cabrio, was sich in den USA befindet und eine Limousine, die sich bis vor Kurzem in deutschem Erstbesitz befand.

Genau letzteres Auto bekamen wir 2019 und konnten es an einen Citroën-Sammler verkaufen. Im Anschluss hatten wir diverse Arbeiten an den Bremsen und am Vergaser durchgeführt und ein originales Ersatzgetriebe eines frühen Traction Avant eingebaut. Das Auto wurde also wieder fahrbereit gemacht. Dabei haben wir darauf geachtet, dass so viel wie möglich original erhalten blieb. So konnten wir die originale deutsche Bremsanlage instand setzen, anstatt einfach französische Teile einzubauen, was viel einfacher gewesen wäre. Unsere Rechnungen über 15.785,31 €, sowie die Fotodokumentationen über die Arbeiten liegen vor. Der Wagen ist voll fahrbereit, hat eine gültige HU und ein H-Gutachten und fährt, trotz der 1935er-Vorderachse und im Gegensatz zu den Meinungen einiger selbst ernannter Experten, stabil geradeaus und zieht auch beim Bremsen nicht schief. Das baugleiche originale Getriebe deutscher Fabrikation haben wir selbstverständlich aufgehoben, denn es gehört zum Auto. Weil das Auto historisch so bedeutend ist, ist der Besitzer damit nur knapp 200 Kilometergefahren und hat sich daher entschlossen, den einzigartigen „Poller“ wieder zu verkaufen.

Das Auto ist eine echte Sensation, denn es ist so gut wie irgend möglich dokumentiert. Sogar der erste Fahrzeugbrief und die ersten Kennzeichen von 1935 sind vorhanden. Die Großeltern des letzten Besitzers, von dem wir den Wagen 2019 bekommen hatten, hatten 1935 zwei solcher Autos aus Köln gekauft. Ein normales Modell und dieses luxuriös ausgestattete Modell mit Zweifarbenlackierung, Ledersitzen und Heckscheibenrollo. Das normale Modell wurde viel gebraucht und wahrscheinlich während des Krieges von der Wehrmacht aufgebraucht. Das luxuriöse Modell hatte die Wehrmacht nicht eingezogen, weil der Motorblock schon in den 1940er Jahren einen Riss hatte. Die Familie hatte einfach Weizenmehlkleie ins Kühlwasser gekippt und damit war das Kühlsystem so dicht, dass der Wagen bis 1959 ab und zu gefahren werden konnte. Genau wie alle anderen Unterlagen, so ist auch die Abmeldebestätigung von 1959 vorhanden. Irgendwann in den 1950er Jahren mussten dann zusätzliche Rücklichter angebaut werden. Im Juni 2002 wurde der Wagen dann aus seinem Dornröschenschlaf erweckt, komplett zerlegt und binnen der folgenden drei Jahre wieder zusammengebaut. Dabei wurde alles so original wie möglich beibehalten und das Auto auch in seinen originalen Farbtönen neu lackiert. Das Blech der Karosserie hatte nur zwei kleine Durchrostungen irgendwo vor dem linken Hinterrad, zu sehen ist davon nichts mehr. Der Riss im Motorblock wurde geschweißt und der Motor mit neuen Zylinderlaufbuchsen und Kolben versehen. Die originale Lenkung wurde komplett überholt und dazu mussten zum Teil spezielle Lager angefertigt werden. Nichts sollte geändert werden, sondern alles wieder so aufgearbeitet werden, wie es 1935 war. Es wurde daher auch weder die Vorderachse noch die Lenkung eines ‘37er-Modells, die das Fahrverhalten verbesserten, eingebaut. Alles ist so, wie es 1935 in Köln gebaut wurde. Man kann an diesem Auto wahrscheinlich so gut wie an keinem der anderen drei noch existierenden Autos aus deutscher Produktion sehen, was genau die in Köln produzierten Autos von den in Paris produzierten unterscheidet. Die bei Siemens gebauten Motoren sind z.B. rot anstatt grün lackiert, die Keder der Türausschnitte und Kotflügel sind anderes gestaltet, das Armaturenbrett im Holzdekorlack (ähnlich wie bei einem Facel Vega) lackiert, die Türausschnitte haben zusätzliche Türanschlaggummis, die gesamte Elektrik inkl. der Scheinwerfer stammt von Bosch, der Kühler von Wartenberg und Freund, die Reifen sind wie im Original von Continental und vieles andere mehr. Die Karosseriebleche stammen von Ambi-Budd in Berlin-Johannisthal. Vom Wiederaufbau zwischen 2002 und 2005 gibt es eine umfangreiche Fotodokumentation, damals aber noch durch Fotos auf Papier, also noch keine digitalen Fotos. Heute auch schon wieder ein Zeitdokument an sich.

Im Weiteren ist das Auto in Deutschland steuerbefreit. Nach dem 31.03.1933 konnte man freiwillig eine erhöhte Steuer bezahlen und damit war die Kfz-Steuer für alle Zeit bezahlt. Da dieses Dokument, wie alles andere auch, noch existiert, wurde dies bei der Wiederanmeldung 2002 vorgelegt und ein Anwalt hat auf juristischem Weg die Steuerbefreiung bestätigt. Sicher wären die 191 € Steuer für ein H-Kennzeichen verschmerzlich, aber das Gesetz von 1933 wurde nie aufgehoben. Es dürfte allerdings nur noch ganz wenige Autos geben, deren Erstbesitzer damals die erhöhte Steuer bezahlt haben, deren Auto noch existiert und auch das Steuerdokument noch existiert. Die seit 87 Jahren lückenlose Historie ist schier unglaublich und das Auto damit von ganz außerordentlicher historischer Bedeutung. Irgendwie ein Beleg für die deutsch-französische Freundschaft, aller früheren politischen Konflikte zum Trotz.

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